Ich möchte einmal genauer auf unser Freispiel für Hunde eingehen. Bei genauerer Betrachtung älterer freilaufender Hunde werden wir feststellen, dass manche Hunde gar nicht mehr spielen, das was sie tun könnte man einfach Kommunizieren nennen. Das nicht alle Hunde spielen muss häufig als Argument herhalten, den Freilauf mit anderen Hunden einzuschränken oder gar nicht mehr stattfinden zu lassen.
Beginnen wir einmal beim Welpen. Meistens beginnt mit dem Abholen des neuen Familienmitglieds ja dessen Sozialisierungsphase.
Untersuchungen an Haushunden und deren wilden Verwandten haben gezeigt, dass insbesondere die Sozialisationseinflüsse im dritten bis sechsten Lebensmonat offensichtlich entscheidend sind für die Ausbildung der Verträglichkeit mit anderen Artgenossen (Quelle siehe Gansloßer, Natürlich aggressiv, 2011).
Wir legen also in der jetzt folgenden Zeit den Grundstein für sein Sozialverhalten gegenüber anderen Menschen, verschiedenen Tierarten und natürlich auch Hunden! Noch nicht alle Lernvorgänge, wie z.B. Beißhemmung und das Einsetzen der eigenen Körpersprache zur richtigen Zeit (also quasi als Antwort auf die Signale seines Gegenübers) sind in diesem Alter abgeschlossen, der Kontakt zu seinen Geschwistern und den Eltern aber meistens abgebrochen. Außerdem gilt es ja noch die Körpersprache und Eigenarten anderer Rassen kennenzulernen, die durch extrem verschiedenes Aussehen oft auch über ebenso extrem unterschiedliche Mimik verfügen. Auch ist die Individualdistanz eines Beagle oder Labrador nicht mit der eines Malinois oder Herdenschutzhundes zu vergleichen.
Damit der kleine Kerl die nötigen Erfahrungen sammeln kann, reicht es nicht, ihn an der Leine an anderen Hunden vorbeizuführen oder ab und zu mal den einen oder anderen Hund auf dem Spaziergang zu treffen. Regelmäßige Treffen mit ebenfalls jungen Hunden (gleichaltrig oder gleiches biologisches Alter) unterschiedlicher Größe sind optimal, wenn es kontrolliert abläuft.
Beobachtet man ein solches Welpenspiel, sieht man seinen Welpen mal beim Jagen eines anderen Vierbeiners, den er vielleicht grade nicht kriegt und frustriert jault, mal ist er der Gejagte. Mal ist er in einem Knäuel oben, mal unten liegend, was sicherlich auch mit Stress verbunden ist. Sollte man seinem Welpen solchen Stress aussetzen? Auf jeden Fall, denn jeder Organismus benötigt milden Stress, um sich optimal entwickeln zu können!
Was im Umkehrschluss bedeutet, dass ein Hund, der im jungen Alter in Watte gepackt wurde, der vor jeder „Gefahr” beschützt oder gar davon ferngehalten wurde, später ängstlich oder auch noch aggressiv reagieren kann. Ein Hund, der nicht gelernt hat, sich situativ demütig zu verhalten, weil er aus jedem Geplänkel mit Artgenossen sofort vom besorgten Frauchen oder Herrchen gerettet wurde, wird später, wenn er aus Mangel an Erfahrungen nicht angemessen respektvoll reagiert, die eine oder andere Watsche einstecken müssen. Und Schuld sind dann immer die anderen bösen Hunde...
Wir achten also in unserer Welpengruppe darauf, dass nicht jeder Streit sofort vom Menschen unterbrochen wird, denn Hunde müssen Verhalten zeigen dürfen, wir lassen aber auch nicht alles laufen.
Der Satz: „Das müssen die unter sich regeln” ist hier ebenso fehl am Platze. Auch ein ständig gemobbter Hund wird sich nicht optimal entwickeln.
So versuchen wir den Welpenbesitzern ein Gefühl dafür zu vermitteln, wann eine Situation ernst wird und wann eingegriffen werden muss.
Die Sache mit dem Stress
Nehmen wir zum Vergleich mal einen Baum.
Wir haben unseren Hundeplatz mit Bäumen bepflanzt. Jemand gab mir den Tipp, die frisch gepflanzten Bäume nicht zu üppig zu gießen. Das Wurzelwerk bildet sich anscheinend nicht so gut aus, wenn permanent Wasser zur Verfügung steht. Klingt logisch, wenn man drüber nachdenkt. Man bekommt so zwar ein schönes Blattwerk, aber bei einem Sturm wird unser Baum schnell entwurzelt, er kann ihm nicht standhalten. Fügt man also dem Baum milden Stress zu, indem man nicht so viel gießt, müssen sich seine Wurzeln weiter ausstrecken und er wird Stressresistenter. Dieser Vorteil hilft nicht nur bei Sturm, sondern auch bei Wasserknappheit. Bekommt er allerdings gar kein Wasser, ist der Stress zu groß und der Baum geht ein.
Vergleichen wir dieses nun mit der Gehirnentwicklung unseres Hundes. Fügt man dem Welpen milden Stress zu, den er gut bewältigen kann, indem man ihm vielfältige Reize und Hundekontakt anbietet, wird sein Nervenkostüm ähnlich wie das Wurzelwerk des Baumes stärker, mehr Nervenbahnen werden gebildet. Gerät er später in Stresssituationen, wird ihn das nicht so schnell aus der Bahn werfen, seine Frustrationstoleranz ist entsprechend höher. Lässt man ihn in für ihn ausweglosen Situationen im Stich, wird der Stress evtl. zu groß und seinem Nervensystem könnte irreparabel geschädigt werden. Also: fordern Sie Ihren Hund, aber überfordern Sie ihn nicht!
Der Hund wird älter
Hat der Welpe nun ausreichend Sozialkontakt gehabt, sollte man den Kontakt zu anderen Hunden keinesfalls abbrechen. Bei manchen unserer Vierbeiner reichen wenige Wochen der „Isolation”, um bei Hundebegegnungen aggressiv zu reagieren! Sie benötigen also regelmäßig die Möglichkeit, mit anderen Hunden zu kommunizieren, um sozial kompetent zu bleiben.
Ich habe in meiner Praxis oft mit Leinenaggressiven oder „nur” ängstlichen Hunden zu tun. Aus Angst vor Verletzungen haben die Besitzer oft Hundekontakt vermieden. Bei manchen von ihnen reichte es aus, sie in die „Spielgruppe” zu integrieren um Aggressionen und auch unsicheres Verhalten zu minimieren. Der Kontakt mit gut sozialisierten Hunden stärkt das Selbstvertrauen und selbst Ängste vor Menschen und Umweltängste konnten wir so in der Vergangenheit bereits lindern oder sogar abstellen.
Und wer beobachtet nicht gerne ausgelassen tobende Hunde, wie sie rennen oder sich entspannt auf der Erde liegend gegenseitig durchkauen, mit einem dicken Grins im Gesicht...
Ich mache das regelmäßig, und wenn mir einer erzählen will, die hätten keinen Spaß dabei, der hat wahrscheinlich noch nie genau hingesehen...
Monika Whitworth